Twitter is magic. It is hard to describe, but easy to experience. Sometimes you feel like shit about your art, and then two published comic artist, who started out just like you, write exactly what you need. Just like that. Boom!
Piep!
Wir stehen am Kassenband. Fangen gerade an, Lebensmittel auf das Band zu legen. Ein lauter, schriller Ton durchschneidet die Luft. Eine Feuerschutztür war unerlaubt geöffnet worden, was den Feueralarm ausgelöst hatte. Schrill und laut piept es durch den gesamten Laden, und alle Leute an der Kasse sind genervt, geben ihr Genervtsein durch Getuschel zum Ausdruck. Ich lege alle unsere Lebensmittel fertig aufs Band und halte mir die Ohren zu. Langsam gehen wir vorwärts in Richtung Kasse. Es piept weiter.
Mein Kopf dröhnt, ich presse die Finger fester auf meine Ohren. Ich werde zappelig, muss mein Zappeln unterdrücken. Ich will ja nicht auffallen, schon gar nicht peinlich sein für meine Leute. Es ist so unerträglich laut. Ich wippe ein bisschen vor und zurück mit den Füßen, bloß nicht auffallen, es ist so laut, so schrill, nicht auffallen, so entsetzlich schrill, nicht auffallen, es ist so unerträglich.
Dann ist es plötzlich wieder weg. Alle Leute an den Kassen seufzen erleichtert, und alles geht wieder seinen Gang. Ich muss zappeln, ich muss schaukeln, mich bewegen, mir weiter die Ohren zuhalten, es ist so hell, so laut, das Gebrabbel der Menschen und das Gepiepse der Kassen, unser Geld zusammenzählen, der Smalltalk mit der Kassiererin, die wir von früher kennen, deren Smalltalk ich aber nicht verstehe, denn wozu an der Kasse quatschen, wenn man im Alltag keine Zeit füreinander hat, und warum schaut sie mich so an, und alles ist immer noch so laut. Ich will weg, einfach nur weg, mich in Luft auflösen, mir die Finger am liebsten alle gleichzeitig in die Ohren stopfen, doch ich stehe nur da. Helfe beim Lebensmittel in die Tüten packen, beim Geld zahlen, beim Wagen wegfahren. Ich bin still, antworte nur noch mit „Hm“, starrre vor mich hin, kann nichts fokussieren, mir ist alles zu laut, zu hell, zu unerträglich. Ich bettle innerlich, bitte bitte, ich will hier weg, wir müssen uns beeilen, ich muss hier raus. Die frische, kühle Luft von Draußen ist ein bisschen angenehm, denn kühl beruhigt so gut, und wir gehen zum Auto. Meine Leute quatschen vergnügt über alles mögliche, schon seit wir von der Kasse weg sind. Statt, so wie mir, völlig im Overload abgestürzt zu sein, ärgerten sie sich nur kurz über den Krach und gingen zum Alltag über. Ich flattere unauffällig, heimlich, in den Ärmeln mit den Händen.
Ich schweige, obwohl ich mit meinen Leuten normalerweise viel quatsche und scherze und Blödsinn mache. Schweige, weil jeder Gedanke, jedes Wort, zu viel ist, weil das Formen von Sätzen gerade so unsäglich anstrengend ist, ich reiße mich zusammen, fühle mich wie ein fester, kompakter Stein. Höre und sehe zu viel, und begreife nichts davon wirklich. Ich möchte schreien, schaukeln, mit den Armen wedeln, mit den Händen und dem Kopf so lange gegen kalte Fliesen schlagen bis der Schmerz den Overload übertönt. Aber ich wirke normal, nur still. Zusammenreißen, nicht auffallen, nicht peinlich sein. Ich reagiere kaum auf das, was meine Leute sagen. Kann keinen Gedanken klar fassen. Setze mich ins Auto, schnalle mich an, schließe die Augen und lege den Kopf an die Lehne. Schmerzendes Rauschen im Kopf, mein Körper zittert und zuckt, alles ist zu laut, alles ist unerträglich, ich habe das Gefühl, ich werde wahnsinnig, oder ohnmächtig, oder beides.
Und es bewahrheitet sich, was ich immer wieder so erlebe: Der Overload kommt nicht sofort, sondern immer erst etwas zeitversetzt, wenn ich schon aus der Situation raus bin. Menschen begreifen das nicht, und denken, ich rege mich einfach hinterher drüber auf was gerade war, als wäre ich nachtragend. Dabei bricht erst dann der Overload durch. Im Moment selbst funktioniere ich noch, und kurz darauf zerbröckelt alles.
Sie fragt, ob alles okay ist. Ich versuche zu erklären, Reizüberflutung, nichts schlimmes, nur Ruhe, sie will mich „trösten“, will was schönes erzählen, aber ich sage nur, bitte, jetzt nicht, jetz bitte, bitte nicht. Ich weiß nicht, ob sie versteht, habe nicht die Kraft, das zu begreifen. Da ist nur das Dröhnen, das jeden Gedanken wie ein Stück Beton aus einem trüben Fluss herausfischen, mit bloßen Händen, und es gelingt nicht. Ruhe, ich will nur Ruhe. Nichts hören, nichts sehen. Immer wieder schließe ich die Augen, denn die Rücklichter der anderen Autos sind unerträglich. Sehen ist so anstrengend. Soll sie beim Notruf anrufen, fragt sie besorgt, ich schüttle nur mit geschlossenen Augen den Kopf, das ist nur Reizüberflutung, das ist normal, das habe ich täglich, es ist okay. Sie akzeptiert es, schweigt, sagt ich soll was sagen wenn sie was tun kann. Ich schüttle nur den Kopf.
Wir kommen an. Tragen unsere Lebensmittel aus dem Auto zur Tür. Sie fummelt am Schlüssel herum. Gefühlt eine Ewigkeit. Ich frage, was los ist, sie sagt sie schaut was drüben gerade auf der Straße los ist, ich zische nur, bitte schnell, es ist so unerträglich laut hier. Sie öffnet die Tür endlich, ich schlüpfe hindurch, quäle mich die Treppen hoch, setze mich oben auf die Treppen, warte auf sie. Tür auf. Stille. Nur ein Katz mit wackelndem Puschelschwanz. Ich ignoriere es, befreie mich von der viel zu engen, viel zu unbequemen Kleidung, bleibe im Dunkeln sitzen. Atme. Seufze.
Ich frage mich, wie, wie zur Hölle soll ich mich da dran gewöhnen, wie zur Hölle soll das normal und harmlos werden, wie zur Hölle soll ich das ertragen, jeden Tag, viele Stunden, ein Leben lang, nur weil es normal ist. Es ist kein „doof finden“, kein „nachtragend sein“, keine Sozialphobie und keine Depression. Es eine ganz klare körperliche Reaktion auf Reize, die ich viel deutlicher, unerträglicher wahrnehme als die meisten anderen Menschen.
Natürlich hat man nicht jeden Tag mit Feueralarm zu tun. Aber im Prinzip ist es dasselbe, wenn ich im Beruf mit Menschen zu tun habe, oder mit Geräuschen, oder flackernden Neonröhren. Meist bin ich schon nach ca. 2 – 3 Stunden Arbeit schon in einem mit der eben erzählten Situation ähnlichen oder gleichen Zustand. Den Rest der Arbeitszeit in diesem Zustand zu bleiben, normal wirken, bis Feierabend, ist unfassbar anstrengend.
Autismus ist nicht heilbar. Das ist, was Autismus sein kann. Was Autismus bei mir ist. Es gibt keine Heilung dafür, und keine tollen Mittelchen dagegen. Bei manchen wirken manche Medikamente gegen ADHS, aber nicht bei allen. Das ist mein Leben. Das ist, wie mein Hirn funktioniert. Das ist, wovor ich mich täglich beschützen muss. Es ist normal für alle, Schmerzen und Verletzungen vermeiden zu wollen. Dasselbe ist es bei mir mit dieser elendigen Reizüberflutung, die mich zu einem zuckenden, zitternden, zappelnden hilflosen Häufchen macht, das kaum ein Wort rausbringt und eine unerträgliche dröhnende, schmerzende, neblige Hölle im Kopf hat.
Bitte, bitte, erzählt mir nicht, ich muss mich da nur dran gewöhnen. Ich bin 27. Ich war in der Schule, wie ihr alle auch. Ich war in vielen verschiedenen Jobs. Ich habe Jahre von Berliner Öffi-Verkehr hinter mir. Autismus geht nicht durch Gewöhnung weg. Wenn das die großartige Lösung wäre, gäbe es kein Problem.
Ich habe Angst. Ich habe fucking Angst. Dass das JobCenter mich wieder irgendwo reinsteckt, wo es mir genau so geht. Wie immer. Wie eben beschrieben. Bitte nicht.
Nichts.
Nach dem ersten Suizidversuch hat mir jemand gesagt, ich sei wie eine ganz, ganz alte Greisin, die so krank ist und so viel erlebt hat, dass sie einfach nichts mehr will, nicht leben, nicht atmen, nichts mehr erleben, nur endlich friedlich einschlafen, für immer.
Nach dem zweiten Suizidversuch hat mir jemand gesagt, ich sähe aus, als sei ich das traurigste Mädchen der Welt.
Ich frage mich manchmal, was sich seit damals geändert hat. Geht es mir besser? Ist die Depression fort, oder wenigstens gelindert? Ist mein Leben lebenswerter geworden? Es sind schon einige Jahre ins Land gegangen. Ich bin nicht mehr 15, nicht mehr 19, ich rase auf meinen 27. Geburtstag zu. Das Alter, in dem ausgelutschte Rockstars an Drogenkonsum oder Autounfällen oder beidem gleichzeitig krepieren.
Und ich?
Ich werde 27, und außen fängt mein Leben an. Es könnte momentan eigentlich kaum besser laufen:
Meine Ausbildungsvorbereitung habe ich mit den besten Noten durchgehalten. Alle Erzieherinnen und alle Ausbilder, die Sachbearbeiterin und meine Psychologinnen sind hellauf begeistert von mir. Ich hätte eine ruhige, doch präsente Ausstrahlung, ich sei ein furchtbar angenehmer Mensch, man rede so gerne mit mir. Ich sei so selbständig, und so talentiert und intelligent. Ich habe die Zustimmung zur Ausbildung bekommen, schriftlich, und die beginnt am 24. August, ca. 3 Wochen nach meinem 27. Geburtstag.
Als Kind wollte ich Rockstar sein, ich wollte meine Gefühle ins Mikro schreien. Ich wollte Texte schreiben, die echt waren. Texte, die auf dem Leben basieren, die so echt sind, dass ich auf der Bühne manchmal weinen müsste. Ich wollte immer schon echt sein, immer schon alles hinausschreien, was in mir war. Ich wollte auf der Bühne stehen, mit nacktem Herzen und wahren Worten. Ich wollte all das sein, solange es ginge. So lange, bis ich, vielleicht, meinetwegen, mit 27 endgültig verglüht, von Drogen zerfressen vom Hochhaus fliege, abwärts, aber immerhin.
Ich wurde kein Rockstar, ich wurde nicht mal ich. Ich schrieb keine Texte, ich zeigte keine Gefühle, ich stand nie auf einer Bühne, habe nie ein Instrument gelernt, und meine Stimme kann ich nicht ertragen.
Stattdessen wurde ich eine Marionette, ein Irgendwas, das irgendwie versuchte, das zu sein, was man von mir erwartete. Jedes Kleinkind lernt, dass Dreiecke nur in Dreiecklöcher passen, Vierecke nur in Vierecklöcher. In der Hinsicht war wohl jedes Kleinkind schlauer als ich. Denn ich war ein Hexagon, das all die Jahre verzweifelt versuchte, seine Ecken soweit einzuziehen, dass es in die perfekte glatte Kreisform passte. Doch kein Hexagon der Welt, kein Mensch der Welt, kann alle Ecken und Kanten gleichzeitig einziehen. Nichtmal den Bauch können wir lang genug einziehen, um auf diesem einen Foto perfekt zu sein.
Ich war ein Schüler, der gute Noten schrieb, und sie nie gut genug schreiben konnte, und dafür gescholten wurde, zwar der beste der Schule, aber nicht der mit glatten Einsen zu sein. Ich war ein Verkäufer, der nicht verkaufen konnte. Ich war ein Fachabiturient, der nicht die Nerven hatte fürs Abitur. Ich war ein Gastronomiehelfer, der zu langsam war. Ich war ein Bibliotheksassistent, der mit Büchern konnte, aber mit Menschen nicht. Ich war eine Frau, wunderschön und attraktiv, unterwürfig und folgsam. Ich war eine Leiche, die nicht tot genug war, um tot zu sein. Ich war nie das, was ich immer sein wollte. Ein Rockstar nicht, ein Künstler nicht, ich selber nicht.
Ich werde 27 und habe im Grunde nur eines gelernt: Ich kann nicht sein, was ich sein sollte. In den Augen der Anderen. Und so wurde ich mit 15 eine alte Greisin, so krank und tot innendrin, dass ich nur einschlafen wollte. So wurde ich mit 19 das traurigste Mädchen der Welt. Und so wurde ich, werde ich, jetzt, endlich, schon, unweigerlich und ohne Atempause, 27 Jahre alt. Siebenundzwanzig Sommer, Herbste, Winter, Frühlinge. Siebenundzwanzig mal zwölf Monate mal ungefähr 30 Tage, in denen mein Leben kaum mehr war als … als…
Was eigentlich?
Mir gefällt die Metapher von der Metamorphose, von der hässlichen Raupe zum schönen Falter, der endlich hinfortfliegen kann aus allem, was er bislang für seinen Horizont gehalten hatte. Doch Falter leben nicht lange. Und werden auch traurige Raupen zu schönen Schmetterlingen? Werden innerlich zerfressene, zerrissene Raupen überhaupt irgendetwas? Ich meine, mehr als nur Futter für andere?
Sieben-und-fucking-zwanzig. Ich habe viel vor. Außen. Ich fange die Ausbildung an, ziehe in absehbarer Zeit in eine eigene Wohnung, zusammen mit meiner geliebten Katze. Für die Ausbildung bin ich mehr als klug genug, das wird schon. Meine Zukunft fängt an, jetzt wird alles besser. Und so weiter. Glauben kann ich es nicht. Innendrin ist alles, nur keine Freude. Innendrin ziehe ich mich vorwärts, nicht aus Freude oder Ehrgeiz, sondern aus Angst vor Hartz4. Aus Angst vor dem Loch, in dem ich saß, als ich gar keine Perspektive hatte. Ich sollte dankbar sein. Und immer wieder werde ich gelobt, wie viel ich doch schon geschafft hätte, um genau jetzt soweit zu sein wie ich jetzt bin. Doch es fühlt sich nicht so an.
Ich stecke im Körper einer dicken Frau. Einer Frau, die sich in den letzten Jahren vom Gewicht fast verdoppelt hat. Die Folgen von ein paar Jahren Depression und Hartz4, und aus beidem resultierendem Bewegungsmangel und Isolation. Ein offenes Gefängnis, hab ich immer gesagt, mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Du kannst gehen wohin Du willst. Aber Du hast weder Geld noch Kraft, es zu tun. Also bleibst Du sitzen, in Deinem Sarg aus Selbsthass, Schulden, Angst und Sehnsucht nach dem Ende. Und niemand darf es wissen.
Der Körper, diese „Frau“, bin nicht ich. Sie ist meine Maske und mein Sarg, an mir festgewachsen, und allzu schnell werde ich sie nicht los. Man wird lange schneiden müssen, um mich davon zu befreien. OPs wird es geben.
Ich träume. Ich habe Wünsche. Die Gedanken, die ich habe, die Bilder im Kopf, wenn ich mal kurz Hoffnung habe. Die sind es, die mich manchmal ein bisschen erhellen. Ich war so lange jemand anderes, dass ich unendlichen Hunger habe, danach, zu erfahren, wie es ist, ich zu sein. Ich bin hungrig nach mir selbst. Nach all den Seiten von mir, die ich nie sein durfte. Ich weiß nicht, wo ich die Kraft herbekommen soll, um für das alles zu kämpfen. Für mich zu kämpfen. Ich weiß nicht, wie ich 3 Jahre überleben soll mit einem Bruchteil dessen, was ich zu Hartz4-Zeiten hatte. Ich weiß nicht, wie ich die Kraft aufbringen soll, all das zu tun, was ich tun muss, um zu leben. Es ist so kalt und finster hier drin.
Anfänge.
Ich sitze im Schneidersitz auf dem Sofa meiner Mutter, der Fernseher nölt und die Katze schnarcht an meine Beine gekuschelt. Laptop auf dem Schoß, Finger an der Tastatur. Endlich habe ich einen Blogtitel gefunden, mit dem ich zufrieden bin. Ich wollte schon lange wieder bloggen. Warum und worüber weiß ich nicht genau. Irgendwie über mich selbst, über mein Leben, über meinen Weg. Über irgendetwas, das anderen vielleicht auch hilft. Oder sie zumindest schauen lässt hinter die Fassade, die ich unweigerlich vor mir her trage. Aber tun wir das nicht alle? Ist doch nicht schlimm? Naja, irgendwie schon. Denn manche Fassade ist einengender als andere. Manche Fassade hat Fenster und Türen, manch andere hat nur ganz kleine Löcher, und dicke Eisengitter davor. Ich hasse es, mich als Opfer zu inszenieren, oder so zu tun als seien immer nur alle anderen schuld. Ich hasse es, wenn man mir das vorwirft. Ich möchte stark sein. Ich möchte sagen: Scheiss drauf, ich kann das. Aber… aber. Ja, aber. Es ist nicht so einfach. Noch nicht. Ich hoffe, es wird einfacher. Ich hoffe, ich kann irgendwann ich sein. Ich hoffe, ich kann irgendwann im Jetzt ankommen. Irgendwann endlich aufhören, meine Altlasten – und so manche ganz wortwörtlich – mit mir herum zu tragen. Irgendwann endlich durchatmen und mit offenen Armen in die Welt rennen. In mein Leben. Endlich. Bald.